Etappe, Wetter, Land und Leute
Temperaturen steigen auf 28 Grad. Es fühlt sich sehr sommerlich an. Heute war es wieder wunderschön und abwechslungsreicher. Es gab eine Alternativroute, und die führte an einem Fluss entlang, war dafür auch länger. Zum Glück war ich wohl der einzige, der das in Kauf genommen hat. Keine Wandergruppe weit und breit. Ich habe 10 KM keinen anderen zu Gesicht bekommen. Der heutige Weg führte vom tristen Fromista ins schöne Carrion de los Condes über 22 KM in 6,5 Stunden.
Stimmung
Großartig. Klasse Wetter, klasse Strecke und ein erfüllender Tag. Gestern traf ich noch Jennifer und Charlotte aus North Carolina wieder, ich hatte sie bereits vorgestern in Castrojeriz in der Herberge kennengelernt. Musste mich zwar mit einer Sangriarunde einkaufen, durfte mich aber dazugesellen😉. Ich habe sie gefragt:“ What was your greatest experience on the Camino?“. „This is a hard question.“, sagte sie.
Ich glaube, sie überlegt immer noch, dann habe ich halt meine Story mit dem alten Spanier zum Besten gegeben. Kam gut an. Danach verabschieden sie sich zum Essen. Traf sie aber bald wieder, da nur ein Restaurant vor 20.00 Uhr geöffnet hatte. Große Wiedersehensfreude nach 30 Minuten. Sind schon knuffig die Amerikaner. Später gesellte sich auch noch John aus Irland und Simon aus Bristol dazu und wir hatten alle gemeinsam ein leckeres Pilgermemü. Die Gespräche wurden später auch tiefgründiger und Simon erzählte seine Erkenntnis des Tages. Ich fasse mal zusammen, was ich verstanden habe. “Wir denken zu oft an das, was gestern war, an die Fehler, die wir begangen haben oder was wir hätten anders machen können. Ebenso denken wir zu oft an morgen. Die Hoffnungen, Wünsche und Ängste, die wir an uns und andere stellen. Das alles schleppen wir in einem großen „bag“ mit uns rum. Zugeschnürt mit einem Seil, das wir in den Händen halten und krampfhaft versuchen daran festzuhalten. Wird der „bag“ zu schwer, entgleitet uns das Seil aus den Händen und reißt tiefe Wunden. Warum nicht einfach loslassen, sich aufrichten und tief durchatmen.“ Ein schönes Gleichnis, wie ich finde. Leider muss ich zeitig los, weil in meiner Herberge Bettruhe um 21.30 Uhr ist, warum auch immer. Übernachte heute in einem 10-Mann/Frau Schlafsaal. Kann gut schlafen und bin um 07.30 Uhr startklar. Da es die nächsten Kilometer kein Bar gibt, entscheide ich mich heute mal für ein ausgiebiges Frühstück beim hiesigen Bäcker. Treffe natürlich Raul, Jennifer und Charlotte.
Mach mich dann aber um 8.30 Uhr allein auf dem Weg. Tagsüber bin ich lieber für mich. Ich entscheide mich bewusst, an was zu denken und zwar an Simons Gleichnis von gestern. Und ich finde, er hat Recht. Okay, mag der ein“ oder andere denken. Aber wenn man nicht an das denkt, was war, lernt man nicht aus seinen Fehlern. Und wenn man nicht an morgen denkt, hat man Sonntags nichts im Kühlschrank. Das ist jedoch nicht gemeint, denke ich. Eben alles zur seiner Zeit. Es bringt nichts dauernd in dem gleichen Gedankenkarrussel festzusitzen, als ob irgend ein Typ tausende von Chips gekauft hat, die immer wieder nachwirft und man nicht aussteigen kann. Wenn man nicht einschlafen kann, weil das Karussell sich dreht. Sei es, weil man an unerledigte Aufgaben denkt, Ärger im Job oder der Beziehung oder sonstwas. Ist es da nicht besser, die unerledigten Aufgaben zu notieren und sich morgen wieder drum zu kümmern oder vielleicht mal die Perspektive des anderen einzunehmen, um zu verstehen oder halt einfach zu akzeptieren, dass es halt auch mal Arschlöcher auf der Welt gibt. Also, einfach dem Typen mit den nie enden wollende Chips eine rein hauen und aus dem Karussell aussteigen. Das Bild ist nicht ganz so poetisch wie das von Simon, passt aber grad für mich. Aber was ist mit den Fragen, die keine Antwort finden. Bei denen man Pro und Contra abwägt, die Auswirkungen abschätzt und die Vor-und Nachteile gegeneinander abwägt und doch zu keinem Ergebnis kommt? Ich erinnere mich an die Worte des alten Spaniers:“ Not every question needs an answer. Let it go“. Jetzt ist das Bild für mich stimmig und ich wandere mit einem Lächeln auf dem Gesicht weiter, genieße und denke an nichts. Heute kam er ins philosophieren, bin wohl eindeutig im zweiten Teil der Reise angekommen, denke ich als ich das hier nach einer Dusche, frischen Klamotten und auf dem Marktplatz sitzend vor einer Bar, schreibe. Egal, dafür ist der Camino ja schließlich da. Dann ergebe ich mich endgültig in meinem Schicksal als sich just in diesem Moment die portugiesische Wandergruppe zwei Tische weiter setzt…
Erlebnis des Tages
Die Zeit für mich und die erste blister nach fast 400 KM.
Erkenntnis des Tages
Stopp das Karussell.
Fotos des Tages




















Schreibe einen Kommentar zu admin Antworten abbrechen