Der einzige Schritt, der zählt, ist Dein nächster.

27.Mai: Just let it go ..


Etappe, Wetter, Land und Leute

Ich liebe diesen Abschnitt. Die immer gleichen Landschaften, die Stille üben eine meditative, beruhigende Wirkung aus. Heute führte der Weg von Hornillos del Camino nach Castrojeriz. Einem kleinen, verschlafenen Dörfchen in einer traumhaften Kulisse. Hier vergeht die Zeit langsamer. Insgesamt heute 21 KM in 6 Stunden bei tollem Wetter gewandert.

Stimmung

Einfach ein toller Tag. Vielen Dank an den Finder meiner Anfangseuphorie. Die Nacht war zwar wie immer in den Herbergen sehr durchwachsen und endete um 05.30 Uhr als sich diesmal eine lautstarke, portugiesische Wandergruppe auf dem Weg machte. Als ich nach deren Aufbruch nochmal kurz in den Schlaf fand, stürmte eine portugiesische Nachzüglerin abermals ins Zimmer, um ihre Stöcke zu holen. Die gehören ja auch nicht auf“s Zimmer. Jetzt bin ich wach und mache mich um 07.00 Uhr auf dem Weg. Vor der Haustür kondensierte der Atem. Wäre ne kuschelige Nacht in der Meseta geworden.Von der Seite spricht mit Su-Zi an, eine junge koreanische Pilgerin, mit der ich mich gestern noch nett unterhalten habe. Ich denke, sie hofft, dass wir einen Stück des Weges gemeinsam gehen. Ich möchte lieber diese einzigartige Atmosphäre für mich genießen und wünsche ihr einen „Buen Camino“. Eine gute Entscheidung, nach wenigen Kilometern verfalle ich in einen gleichmäßigen Schritt. Diese wundervolle, gleichbleibende Landschaft und diese absolute Stille übt eine Faszination aus, der man sich nur schwer entziehen kann, nicht entziehen möchte. Man kommt zur Ruhe, hängt seinen Gedanken hinterher, kann loslassen. Eine gewisse Zufriedenheit steigt in mir auf. Es ist grad alles so wie es sein soll. Mir fällt auf, das ich heute schon die dritte Wanderwoche unterwegs bin. Die erste Phase war neu, irgendwie trubelig. Nun hat man sich an das Wandern gewöhnt, kennt den Ablauf in den Herbergen, auch im Rucksack hat alles seine Platz. Kann jetzt übrigens die ein oder andere Frau verstehen, die in ihrer Handtasche rumkramt „Weiß doch ganz genau, das ich das irgendwo hier reingelegt habe“. Ging mir in den Anfangstagen mit dem Drecksack genauso. Der zweite Teil des Caminos ist in der Tat ruhiger, besinnlicher. Das gilt für die Landschaft als auch für mich. „Wir verschwenden so viel Lebenszeit mit unnötigen Sachen“, denke ich auf einmal und mir fällt auf, dass mir die Glotze nicht einen Tag gefehlt hat. Es ist viel schöner, sich mit anderen oder mit sich selbst zu beschäftigen als die Zeit darauf zu verschwenden, das Leben von anderen anzuschauen, die man gar nicht kennt und eh nach einem Tag wieder vergessen hat. Muss ich zukünftig ändern. Mach 11 KM der erste Kaffe und Frühstück. Ich treffe Patric aus Australien wieder. Das letzte Mal sah ich ihn vor zwei Wochen irgendwo vor Pamblona. Gab einen festen Drücker zur Begrüßung. Er bucht so wie ich auch nicht vor und musste auch schon in einer Tennishalle übernachten. „They played tennis until 10:00 a.m. ping pong“, berichtete er mir. Dann doch besser die Meseta😉. Bin dann doch den Rest des Weges mit ihm gelaufen. Ich mag ihn mit seiner offenen und herzlichen Art. Der Weg war aufgrund der lustigen, aber auch tiefgründigen Unterhaltung sehr kurzweilig. Er war Trader, hat aber keine Lust mehr drauf, zu hektisch zu anonym geworden. Er hat 4 Kinder und hat sich nach 27 Jahren von seiner Frau getrennt. Als er ihr von seiner Reise erzählte, sagte sie:“ Oh yes, i will drive you to the airport“. Ist wohl eindeutig. Nach einer kurzen Rast, gingen wir einfach weiter, natürlich den falschen Weg und wir trafen einen älteren Spanier, der mitten im Nirgendwo wohnt und zufrieden aussieht. Leider habe ich vergessen nach seinem Namen zu fragen. Er ruhte irgendwie in sich selbst. Er liebt die Einsamkeit. Aber alle paar Tage kommen Pilger wie wir, die nicht auf die Wegweiser achten und er unterhält sich gern mit ihren . „If you are open to the Camino“, beginnt er. Sind wir und warten gespannt, was da kommt:“Use the Camino only for you. Take your time. Santiago is not the destination. Throw other people’s opinions overboard. You can only change yourself. Don’t always think the same senseless thoughts. Not every question needs an answer. Just let it go.“ Soviel Weisheit hier im Nirgendwo hätte ich nicht erwartet und hat mich tief berührt. Patric ging es eben so und wir sind den Rest des Weges mehr oder weniger schweigend gelaufen. Er hat die gleiche Herberge wie ich. Und da wir heute früh angekommen sind, kann ich auch noch meine Wäsche machen, mich rasieren (war nötig) und mich auf die 25 KM freuen, die ich morgen vor mir habe. Diesmal wieder allein. Zumindest ist das der Plan.

Erlebnis des Tages

Plötzlich unerwartet Weisheiten am Ende der Welt zu hören. Irgendwie passt das hierher.

Erkenntnis des Tages

Nicht jede Frage braucht eine Antwort. Just let it go.

Fotos des Tages

4 Antworten

  1. Avatar von Louis

    Endlich sieht man Dich mit und liest man wieder vom Drecksack. Hatte ihn schon vermisst😂. Tolle Landschaft – Klatschmohn. Genieß die Stille – beneide Dich und gönne es Dir von ❤️ 😘.

  2. Avatar von Louis

    Mit dem Drecksack😀

  3. Avatar von Jürgen Reich
    Jürgen Reich

    Musste aufpassen – das fängt erst mit „keine Glotze“ mehr an und hört dann mit „kein Bier“ mehr auf 🙂
    Ist aber vielleicht auch nicht verkehrt.

    Deine Faszination der Weite und der Stille kommt gut rüber. Geh mal ein paar Meter für mich mit. Hab fast den Eindruck, als wenn der Camino jetzt erst so richtig für Dich losgeht.
    Der Typ, den Ihr da getroffen habt, macht ja schon auf dem Foto einen zufriedenen Eindruck. Wie muss das erst in real sein. Der hat seinen Weg/Ziel anscheinend gefunden.
    Solchen Leuten würde man sonst nicht so einfach begegnen bzw. vielleicht auch nicht so offen gegenüber sein.

    Dann frühstücke morgen vielleicht doch mal ausnahmsweise etwas ausgiebiger. Hast gleich am Anfang eine 10%ige Steigung vor Dir. Hab mir mal die „Buen Camino“ App runtergeladen. Da steht das ja alles. Die ist echt Klasse.

    So, um es mit Deinem Eremiten aus den Bergen zu sagen:
    „Just let it go – but go 🙂

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