Der einzige Schritt, der zählt, ist Dein nächster.

10.Juni:Alles ist göttlich


Etappe, Wetter, Land und Leute

Gestern noch auf 1.500 Höhenmetern. In El Acebo, dem kleinen Bergdorf hat es gestern stark geregnet. Zum Glück für mich nicht heute, da der Abstieg nach Ponteferrata heute auf 500m bei Regen sicher eine Herausforderung gewesen wäre. Hier hat es dann auch wieder seine 30 Grad und Sonnenschein. Pontoferrata ist eine mittelgroße Stadt und hat als besonderes Highlight einen imposante Tempelritterburg zu bieten. Daber wohne ich heute auch standesgemäß im Hostel del Templarios. Heute waren es nur 17Km, davon 8Km der Abstieg. Reichte dann auch.

Stimmung

Am Tisch lernte ich gestern einen Bulgaren kennen, der täglich seine 35 KM läuft, und Amerikaner aus Arizona und Tennessee. Der Amerikaner aus Tennessee wollte mir unbedingt einen Whiskey ausgeben. Na gut. War um 22.00 Uhr im Bett und bis 7.00 Uhr durchgeschlafen. Die Matratzen hatten endlich mal nicht die Dicke eines Löschpapiers. Die ersten Morgenstunden war ich allein in den Bergen. Ruhig, einzigartige Ausblicke. Und da die Umgebung und meine Stimmung zum offiziell nun letzten Drittel des Camino und somit dem spirituellen Teil passen, widme ich meinen Gedanken diesem Thema und lasse sie einfach mal hierzu schweifen: „Wer hat sich das alles ausgedacht, erschaffen? War das schon immer da? Die Energie, die Materie, anorganische und organische Materie, aus der das Leben hervorgeht. Kann man das überhaupt trennen und aus menschlicher Sicht strukturiert in sauber definierte Zustände einteilen? Oder ist es alles eins. Aber wohin geht das Leben, ist es weg, wenn man stirbt oder setzt es sich in einem immer wiederkehrenden Kreislauf neu zusammen, erfindet sich immer wieder neu. Wenn ja, gibt es dann einen perfekten Zustand? Gibt es ein allmächtiges Wesen, dass das alles steuert. Wenn, dann muss dieses Wesen (Gott, Allah. Shiva, what ever) einen kleinen Hang zur Grausamkeit haben. Wenn es doch allmächtig ist, warum schickt es dann nicht den Teufel zum Teufel und alle Leben glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage oder was dann halt auch danach kommt. Die Frage wird meines Wissens im Christentum theologisch so beantwortet, dass Gott dem Menschen einen eigenen Willen schenkte, die somit selbst für das Böse in der Welt zuständig sind. Meiner Meinung nach eher eine supoptimales Geschenk für ein allmächtiges Wesen. Ich kann mich eher mit dem Gedanken anfreunden, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Materie, Energie, Leben und was es sonst noch gibt, es ist alles mitaneinander verbunden. Das sich alles in einem Kreislauf befindet, neu zusammensetzt und sich stets neu erfindet. Eine Einteilung nach Gut und Böse gibt es nicht. Es ist so wie es ist und wird sich von sich selbst heraus verändern. Das wäre nach meiner Definition dann das „Göttliche“ und wir sind alle ein Teil davon. Passt für mich besser als irgendwelche Götter anzubeten. Ich will hier keine zu nahe treten, das muss jeder für sich ausmachen. Nach so viel Philosophiererei genehmige ich mir erstmal nach dem Zieleinlauf ein Bier auf dem Marktplatz bevor ich mein Hotel aufsuche und nach der täglichen Handewäsche erschöpft Siesta halte. Danach wollte ich wieder in die Stadt. Vorbei an der Rezeptionistin. Ich müsse mir unbedingt die Tempelritterburg anschauen. Wollte ich eh, also hin da. Allerdings stand ich vor verschlossenen Toren:“lunes cerrado“. Na toll, die Tempelritter haben montags frei, hätte es früher nicht gegeben. Dann bummel ich halt durch die Stadt, brauch“ ne neue Sonnenbrille. Die alte Brille hat der Drecksack gefressen, weiß ganz genau, dass ich sie ihm anvertraut habe. Beim hiesigen Optiker war nicht viel los. Ich hab daher erstmal die beiden Verkäuferin eingespannt und wir veranstalten eine Brillen-Modeshow. Hab beide bei jeder Brille gefragt. Die eine sagte „Bien“, die andere:“No“. Erst als beide den Daumen hochzeigten, schlug ich zu. Wahrscheinlich war das die teuerste. Sitze wieder auf dem Marktplatz und trage trotz Schatten stolz meine neue Errungenschaft. Wieder kein Pilger hier. Raul ist zwei Tagesetappen hinter mir (Sehnenentzündung). Tana eine und Patrick sogar drei, weiß nicht warum. Wird sich wie immer was finden. Und wenn nicht…so What. Das Leben ist schön.

Erlebnis des Tages

Ich habe lange überlegt. Es war aber das eiskalte Bier auf einem Montag um 13.00 Uhr bei 30 Grad auf dem Marktplatz nach 5 Stunden Wandern.

Erkenntnis des Tages

Es gibt was „Göttliches“, und wir sind alle ein Teil davon.

Fotos des Tages

2 Antworten

  1. Avatar von Sascha

    Moin Jens, hab jetzt die letzten zwei Tage gebraucht, um bis hierhin zu lesen! Hammer, was Du da machst! Mir geht’s beim Bergsteigen auch so, man hat mal für sich und seine Gedanken Zeit. Je nach dem wie herausfordernd die Tour ist, erlebt man durchaus auch sehr emotionale Momente.
    Aber Du hast das nun seit Wochen jeden Tag! Wahnsinn!! Ich drücke Dir alle Daumen, dass Dir Dein Körper nicht noch irgend nen verf****ten Streich spielt! Den Willen und die Stärke hast Du auf jeden Fall!! Ziemlich geil, wie Du von Deinen Erlebnissen berichtest! Würde sagen, das weckt eine gewisse Sehnsucht!! Deine neue Brille steht Dir übrigens richtig gut!!! Zieh durch!!

  2. Avatar von Jürgen Reich
    Jürgen Reich

    Gut das Du den Wiskey vom Vorabend erwähnt hast, dann erklärt sich mir „Deine Philosophie“ auch besser. 🙂
    Kann dem nicht so ganz folgen, aber das ist ja auch wohl nicht der Zweck. Vielleicht sollte man das bei einen Bierchen mal direkt in Pontoferrata diskutieren….
    Dem Foto mit dem Hund hat Jutta den Titel “ Der Türsteher“ gegeben. Dem Typ auf dem Foto mit der Sonnenbrille nimmt man den Türsteher ja nicht so ab ;_)

    Noch 215,6 km bis Santiago – schon ein bisschen erschreckend – geht irgendwie „schnell“.

    Dann morgen mal wieder einen guten Lauf – Gruss an das Göttliche – Du verhinderter TempelritterBurgTürSteher 🙂

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