Der einzige Schritt, der zählt, ist Dein nächster.

12.Juni: Es ist königlich


Etappe, Wetter, Land und Leute

Perfektes Wetter, angenehme 23 Grad und Sonne, herrliche Landschaften in den Bergen. Der Weg führte heute über 23 KM von Cacabelos, über Villafranca del Bierzo bis hinter Trabaleno. Heute wohne ich mitten im Nirgendwo, schlafe in einem Zelt mit Bett, direkt neben einem plätschernden Gebirgsbach umgeben von baumbewachsenen Hügeln, die in einem frischen, kräftigen Grün strahlen. Absolut ruhig hier, abgesehen vom dem herrlichen Zwitschern der Vögel und dem beruhigende Geplätscher des Bachs. Man kommt an einen Ort, fühlt sich sofort sauwohl und weiß gar nicht genau warum, irgendwie magisch. Hier kann man sich mit der Natur verbinden und noch weiter entschleunigen, als ich das eh schon bin, wenn das überhaupt noch gesteigert werden kann😊. Dafür haben sich die 2KM Umweg mehr als gelohnt!

Stimmung

Jeder Tag ist auf seiner speziellen Art besonders. Ich freue mich morgens nach dem Aufwachen schon drauf, welche Erlebnisse ich mit mir oder anderen haben werde. Und sei es nur ein kurzes Gespräch, das in Erinnerung bleibt. Eine Erkenntnis, die man vorher schon kannte, nun jedoch verstanden hat, weil man sie selbst gespürt hat und in sein Inneres vorgelassen hat. Oder eben der Natur dauerhaft so nah sein zu können mit nichts mehr als in den Drecksack passt. Mehr braucht es nicht. Eine Hose, ein Shirt, Essen und ein Dach oder Zelt über den Kopf sowie die richtige, innere Einstellung und tolle Gespräche. Ich wünsche jedem diese Erfahrung, leider lässt sich diese nicht durch Worte vermitteln und lässt sich nur selbst erfahren. Ich fühle mich körperlich, geistig und seelisch, also rundum zufrieden. Heute sollte durchaus noch ein besondere Tag der eh schon besonderen Tage werden. Gestern lernte ich zunächst noch Tracey aus Australien kennen. Sie spricht auch ein wenig deutsch, genauso wie Helen aus Kalifornien. Sie lebt beruflich seit 4 Jahren in Mainz, liebt Karneval und den Weihnachtsmarkt und hasst das deutsche Wetter. Kalifornien ist halt was anderes. Zum Schluss lernte ich noch Alain aus Kanada kennen. Er wog letztes Jahr noch 150 Kilo bei 1,70 Körpergröße und war schwer drogenabhängig. Mittlerweile clean und 70 Kilo weniger. Bin immer wieder überrascht, wie offen die Leute hier ihre Fehler und Schwächen wildfremden Leuten gegenüber eingestehen. Das ist aber normal hier. Keiner hält es für nötig eine Maske zu tragen. Und es wird nicht gewertet, sondern zugehört. Das unterscheidet den Camino von einem normalen Wanderweg. Special Spirit here. Heute Morgen erst um 09.45 Uhr los. Wollte den Morgen langsam angehen lassen. Warum auch nicht, hab ja keine Verpflichtungen. Die ersten 10 KM nach Villafranca del Bierzo gingen durch einsame Weinberge. Das Klima und die Landschaft verändern sich, das grüne Galizien ist nicht mehr weit. Bin dann in der kleinen Stadt angekommen. Dutzende Polizisten in der Stadt, an jeder Ecke standen sie und schwerbewaffnet mit Maschinenpistolen, überall Polizeiwagen. Am Straßenrand wartete viele Leute. Okay, denke ich, eine gewisse Würdigung meiner läuferischen Leistung ist sicher angebracht. Aber das ist denn doch etwas übertrieben. Gehe also erstmal zum Marktplatz, trinke einen Kaffee und schaue mir das Spektakel an. Die Menge springt auf, ich auch. Die Menge jubelt, ich auch. Weiß aber nicht warum. Eine dunkle Limousine kommt um die Ecke gebogen. Ich knipse schnell ein Foto und frage dann einen Spanier, was das ganze hier eigentlich soll. Er schaut mich nur verständnislos an und meint:“That was Felipe, our king.“Ach was, denke ich und deshalb dieser Aufstand“. Gehe weiter und verlasse das königliche Dorf. Auf dem Weg lerne ich Rebecca kennen. „Buen Camino“, sage ich. „Buen Camino“, sagt sie. Hab ich schon hundertfach gehört. Das Problem ist, dass man dadurch nicht die Nationalität erkennt. Und so reden wir englisch bevor wir merken, dass wir beide aus Deutschland kommen. Sie ist eine junge, aufgeweckte Frau und es macht Spaß sich mit ihr zu unterhalten. Sie hat grad ihren Job geschmissen und überlegt Medizin zu studieren, worin ich sie bekräftige, denn sie macht eine aufgeschlossenen Eindruck. Wenig später erzählt sie mir von ihren schwierigen Elternhausverhältnissen (was für ein Wort). Ich sagte ja, ist normal hier. Zuhause wirst du schief angeschaut, wenn du deine Schwächen vor Wildfremden offenbarst. Kann aber auch befreiend sein und du merkst, dass jeder sein Päcklein zu tragen hat, wenn auch unterschiedlich schwer. Obwohl das Gewicht eine Frage der inneren Einstellung ist. Ich lud sie noch auf ein Abschiedsgetränk in der ersten Bar im Dorf ein. Ich bestellte eine Cola und ein Wasser für 3 EUR. Die Wirtin erkannte uns als Pilger und gab uns zwei große Tortilla-Stücke, zwei große Empanadas (Teigtaschen ) und Tomaten mit Olivenöl gratis dazu. Wow, echt pilgerfreundlich hier. Allerdings brach ich mir an der Empanada die Hälfte meines Backenzahns ab, waren wohl von gestern. Egal, hab ja noch mehr davon. In Trabanelo trennten sich dann unsere Wege, da sie eine Bett in einer Albuerge gebucht hatte und ich ein Zelt 3 KM weiter. Zum Abschluss bedankte sie sich für unsere Gespräch und meinte, dass ihr der Austausch, Zuhören und „Ratschläge“ sehr viel gebracht hätte. War berührt, nicht nur ihr hat es was gebracht, sondern durch die aufrichtig gemeinten Worte auch mir. Ist ein befriedigendes Gefühl anderen zu helfen. Es kann so einfach sein, wenn man offen ist und das Eingeständnis von Schwächen, die jeder hat, als Stärke ansieht. Nach 3 weiteren Kilometer (2 auf dem Camino und 1 in die Pampa) komme ich zu diesem wunderbaren Fleckchen Erde. Man sieht es, fühlt sich wohl und ist sofort angekommen. Ich schlafe heute in einem Zelt neben einem Gebirgsbach. So traumhaft schön. Ich verzichte heute auf die warme Dusche und springe in den Gebirgsbach. Scheisse, ist der kalt. Komme aber wie neugeboren aus dem Wasser und genieße den herrlichen Augenblick. Danach wird mir sogar das bestellte Essen ans Zelt gebracht. Die Sonne schickt ihre letzten Strahlen, Essen ist gut, der Tag war körperlich herausfordernd und seelisch wohltuend. Freue mich zufrieden auf mein Bett im Freien für mich allein, morgen mit dem Rauschen des Baches neben mir und den Vögeln aufzuwachen. Life is beautiful!!!

Erlebnis des Tages

Die dankenden, aufrichtig gemeinten Worte von Rebecca, dem Gefühl geholfen zu haben und den Sprung in den eiskalten Gebirgsbach. So kalt und so erfrischend nach einem Tag bergauf.

Erkenntnis des Tages

Zu seinen Schwächen stehen, heißt stark sein. Anderen zu helfen wird tausendfach belohnt.

Fotos des Tages

2 Antworten

  1. Welch ein grandioser Weg und genau so tolle Berichte. Dieser rührt fast zu Tränen. Weiter so!! In deinem Tempo schaffst du es locker noch nach Finisterre, ans Ende der Welt und dann auf dem portugiesischen Jacobsweg rückwärts bis nach Porto 😀 viel Freude und emotionale Erfahrungen weiterhin.

  2. Avatar von Jürgen Reich
    Jürgen Reich

    Wenn das so weitergeht, brauchst Du dir um den Rest des Weges keine Sorgen machen – den „schwebst“ Du dann völlig durchgeistig dahin ……
    Aber der Platz an einem Gebirgsbach und dann noch in einem Zelt und er Umgebung – da muss man ja auch abheben.
    Wahrscheinlich vöölllligg looosgellöööstt von der Erde..

    Ist schon „auffällig“ das Du dem Weg auf so viel positive, offene und zuhörbereite Menschen trifft. (Wandergruppen mal ausgenommen) Ob die auch so im “ normalen“ Leben so sind ? Na egal, auf dem Camino ist das so und das tut anscheinend Allen irgendwie gut.

    Interessant das der König Filipe Dir aus dem Auto zugewunken hat ( sieht auf dem Foto so aus). Sah eigentlich aus wie eine Einladung zum Vino.

    Aber Du hast ja heute Dein „Naturschloss“ und verbringst da bestimmt eine phantastische, erholsame Nacht.
    Werd dann morgen hier mal nachlesen was Du für Erleuchtungen in der Nacht gehabt hast 🙂

    Weiterhin schicken Weg – Du „Camino – Flüsterer )

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