Der einzige Schritt, der zählt, ist Dein nächster.

09.Juni:Cruz de Ferro


Etappe, Wetter, Land und Leute

Angenehme 20 Grad und bewölkt. Heute ging es über 17 KM und 400 Höhenmeter rauf auf 1.500m zum Cruz de Ferro, dem eisernen Kreuz und gleichzeitig dem höchsten Punkt des Jakobswegs. Die jahrhunderte alte Tradition will es, dass die Pilger hier einen von zu Hause mitgebrachten Stein ablegen. Dieser steht symbolisch für die Sorgen, die man nun hinter sich lässt und dort ablegt. Im Laufe der Zeit ist aus der Ansammlung von kleinen Steinen ein riesiger Steinhaufen aus Sorgen, Wünsche und Hoffnungen geworden. Früher symbolisiert der Stein die eigenen Sünden. Die Größe des Steins sollte dabei die Größe der Sünden entsprechen. Da hätte der Drecksack viel zu schleppen gehabt. Der Weg heute war abwechslungsreich und toll mit einem emotionalen Höhepunkt.

Stimmung

Ich bin gestern früh ins Bett, hatte auch keine Lust auf Gesellschaft. Erstaunlicherweise konnte ich gut schlafen und bin heute morgen um 07.15 Uhr los. Es sollte ein grandioser und emotionaler Tag werden. Die durchaus herausfordernde Strecke machte mir heute nichts aus. Zunächst ging es steil bergauf bis zum kleinen Dörfchen Foncebadon. Als Harpe hier durchlief, war es ein Geisterstadt, von den Einwohnern verlassen. Mittlerweile durch den Pilgeransturm der letzten Jahre wieder bewohnt. Dann ging es weiter zum Cruz de Ferro. Ein besonderer und emotionaler Ort. Die Pilger stiegen den Steinhaufen empor, verharrten in Stille, viele hatten Tränen in den Augen. Nur sie wissen, welche Sorgen, Trauer un geliebte Menschen oder Hoffnungen sie hier ablegen. Das macht jeder nur mit sich aus. In dieser besonderen Atmosphäre erreichte dann eine italienische Frauengruppe lautstark den Platz, alle in neongelben Shirts. Sofort bauten sie ein Stativ für ihre Kamera auf, positionierten sich lautstark um das Kreuz zwischen den dortigen in Ruhe verharrenden Pilgern, um ein Foto zu machen. Wahrscheinlich, um zu Hause zu erzählen, was das doch für ein ergreifender Augenblick gewesen sei. Fehlt mir absolut jedes Verständnis. Hatte ich schon erwähnt, dass ich Wandergruppen, egal wo sie herkommen, nicht sonderlich schätze. Sobald sie ihr Foto hatten, waren sie auch wieder verschwunden. Zeit für mich, ebenso meinen Stein hier zu lassen, den ich nun schon seit Beginn der Reise mit mir rumtrage. Danach habe ich mich auf eine Bank gesetzt, um die Atmosphäre in mich aufzunehmen. Auf einmal steht ein älterer Mann mit einem freundlichen Lächeln neben mir und bietet mir mit ausgestreckter Hand ein paar Wallnüsse an. Erst will ich ablehnen, denke dann aber: Nimm sie doch und tue ihm ein Gefallen“. Erst später wurde mir klar, dass nicht ich ihm einen Gefallen tat, sondern er mir. Es ging ihm nicht um die Nüsse, sondern um eine Form der Nächstenliebe. Das nächste Dörfchen besteht eigentlich nur aus einem windschief zusammengezimmertem Haus. Hier wohnt Thomas, wohl eine Legende des Jakobswegs mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Selbst die Reiseapp empfiehlt mal kurz Hallo zu sagen, um ihn zu erleben. Tat ich natürlich. Leider ist er wohl grad im Krankenhaus und ich habe seinen Vertreter kennengelernt und einen kostenfreien Kaffe getrunken. Der Abstieg von wiederum 400m gestaltete sich als Rutschpartie. Der Weg war eng und eigentlich war es eine Minischlucht mit Geröll. Aufgrund der Regenfälle floss ein Rinnsal hindurch. Man musste höllisch aufpassen, nicht wegzurutschen, sonst hätte man wahrscheinlich wie der Drecksack runter getragen werden müssen. Heute wäre ich gern noch weiter gelaufen. Die Wade zwickt aber nach dem Abstieg und 7 Stunden Wandern. Ich beschließe im nächsten Dorf El Acebo zu übernachten. Vorgebucht habe ich nicht. Die Herberge hat aber noch ein Bett für mich in einem 4-Mann Zimmer mit herrlichem Ausblick auf die umliegenden Berge. Es war ein sehr schöner Tag.

Erlebnis des Tages

Der physische Akt, den Stein abzulegen, löst auch mehr aus, wenn man es zulässt. Es war sehr bewegend. Sowohl für mich als auch die anderen Pilger zu beobachten. Später sah ich ein Schild:“To your deepest experience“. Freu mich drauf.

Erkenntnis des Tages

Loslassen hilft.

Fotos des Tages

Eine Antwort

  1. Avatar von Jürgen Reich
    Jürgen Reich

    Komisch. Irgendwie hab ich bei Dir in Bezug auf Sünden und Grösse des Steins ein Bild von Obelix mit Hinkelstein vor Augen 🙂 Wie ist das denn jetzt, sind die Sünden wirklich weg ? Ist doch prima, Platz für Neue.
    Das mit der Wandergruppe ist ja echt nervig und auch unverständlich, aber vielleicht auch mal wieder ein Hinweis wie unterschiedlich Menschen denken und sind.
    Aber, wenn ich das richtig gelesen haben, hast Du doch noch einen ruhigen, Deinen, Moment bekommen. Schön.

    Die Hütte von dem Thomas sieht ja echt Hippiemässig aus.

    Man merkt aber Deine “ Entspannung“. Denke mal am Anfang des Weges wärst Du trotz zwickender Wade noch weitergelaufen. Jetzt hörst Du aber auf Deinen Körper.
    ( Oder der abendliche Drink hat einfach gelockt)

    Klingt alles nach rundum zufrieden. Klasse

    Ich hatte heute auch ein wenig Camino“Erfahrung“ 😉
    Gibt eine sechsteilige spanische Spielfilm-Serie, von
    5-Leuten die in 20 Jahren 3 x den Camino gegangen sind.
    Hab ich in einem Rutsch durchgesehen. Echt gut gemacht.

    Weiterhin einen Experience-REICHen Weg !

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